Michaela Zimmer

(deutsche Übersetzung in Arbeit)

Joseph Beuys, the late German Trans-Avant guard artist once said, “I think with my knee anyway”. What seems a quip remark at first sight actually contains significant wisdom in that we experience the world as embodied based on our ensemble of senses: sight, hearing, touch, taste, smell and their combinations such as in our haptic capabilities that enables us to make judgements about the material qualities of our environment through the synthesis of visual experiences and the memories of tactile exploration of surfaces and object qualities. Our body memory stores a wealth of information and tacit knowledge that relate to its experience of being and moving in time and space.

With some experience in dance and an education in fine arts, Michaela Zimmer’s creative practice focuses on the exploration of how the human body moves in space and through this movement defines both the space and the perception of itself. In an age where virtual and augmented reality increasingly permeate our everyday life experiences, the relationship to our own bodies, the corporeality of others and our physical environment regains in importance.

Advancing her practice through light drawing, that is, the photographic interrogation of different parts of the human body in the early period and moving to a sustained practice in painting as both object and performance, she has worked with dancers since 2016 to explore and develop a visual vocabulary which enables the rendering of different types of movement and spatial experiences and vice versa, to animate the painted object.

Her interest in the embodied experience of motion in space and time has led Michaela Zimmer to establish a daily five kilometre running routine in order to track her body’s physical resonances – exclusively. After the daily jog, two to three drawing records are created to capture the physical and sensory traces of the exercise in lines, shapes, and symbols. Like dance scores, these recordings are analysed and regularly condensed into intensified linear, structural, and spatial gestures made on a range of carriers ranging from paper to traditional canvas and construction foil. The formal repertoire that develops through her systematic and repetitive approach seeks to crystallise proprioceptive stimuli and reactions of the musco-skeletal system perceived by the artist during her regular running exercises, which in/forms her constantly evolving body memory.

The development of objects made from and of these image carriers was motivated by her intent to transpose the codified two-dimensional knowledge and visual vocabulary into three and four dimensions.

Through collaborations, as for example with students of the MA Dance of the Irish World Academy of Music and Dance at the University of Limerick, Ireland, or residents of the village of Coaraze, France these specially crafted, soft and malleable objects are appropriated by the dancers. By wearing them or manipulating them the painted objects become animated through physical movement in time and space. The design of the objects, which oscillates between the skilfully tailored and rough make-shift fabric compositions, loosely proposes a scope for the dancers within the given physical environment for interaction with and through them as well as with each other. The space-defining corporeal performance is further stimulated in a directional way by sound collages created in further collaboration with local musicians.

Unlike in performative drawing and painting, Zimmer’s approach inserts layers of mediation between her own embodied experience and its manifestation through acts of making and performing by others that draw our attention to the sensory experience, to the corporeal memory and to the tacit knowledge anchored in our bodies that shape our movement in a space and our relation to it.

Prof. Doc. Kerstin Mey, President, University of Limerick, 2023

 

 

 

 

 

 

ON GOING

In Großbritannien und den USA sind Ganzkörperanzüge in Mode, kuschelig und bunt als Pyjamaersatz oder Hausanzug. Wenn dieser „Onesie“ dann noch runde Ohren oder einen Stummelschwanz aufweist, scheint er wie eine domestizierte Form von Herakles‘ Fell des Nemeischen Löwens, das seinen Träger nahezu unverwundbar machte. Die Haut eines anderen zu tragen erweist sich für den Menschen seit jeher als vorteilhaft, sei es Leder oder Schlangenschuppen. Umgekehrt sind wenige christliche Heiligendarstellungen so schaurig wie die des Bartholomäus, dessen Martyrium daraus bestand, dass ihm die Haut vom Leibe gezogen wurde. Auf Wandbildern und Skulpturen trägt er diese wie einen schlaffen, leeren Onesie über dem Arm.

Leere Ganzkörperanzüge liegen auch in Michaela Zimmers Ausstellung ON GOING auf dem Boden, einige hängen an Gestängen, als warteten sie auf ihren nächsten Einsatz. Wie der aussehen könnte, zeigt eine Bilderfolge im Loop: vor der schaurig-schönen Industriedystopie von Middlesbrough und Umgebung wandert ein Ensemble von drei Gestalten in Zimmers Ganzkörperanzügen umher. Ihre Gesichter sind abgewandt oder verdeckt, sie wirken vereinzelt und ernsthaft.

Deren Anzüge bestehen nicht aus buntem Plüsch: Zusammengesetzte Teile aus schwarz glänzendem Tuch, wie mit Öl bestrichen, grau bemalter Leinwand und weißen Einweg-Schutzanzügen aus Polypropylen scheinen ihre Träger*innen abzuschirmen gegen eine unwirtliche Außenwelt, in der der menschliche Körper mehr braucht als die Stärke eines Löwen – eher die Konstitution von Soldat*innen: Für das Schnittmuster, das bis heute jedem ihrer Anzüge zugrunde liegt, trennte Michaela Zimmer vor rund 20 Jahren einen Overall der britischen Armee auf.

Damals wie heute stehen die Overalls für Michaela Zimmer in Verbindung mit der Bewegung des menschlichen Körpers – ein Thema, das ihre Arbeit seit langem durchzieht. Die in der Ausstellung gezeigten Wandarbeiten 220605 und 220604 suchen etwas so Allgegenwärtiges wie die Bewegungen unseres Körpers wahrnehmbar zu machen. Michaela Zimmer nähert sich diesem Phänomen mithilfe eines Annotationssystems aus dem Bereich des Tanzes, mit dem sie seit Jahren nach ihrem täglichen Lauf die körperlichen Nachspannungen in zeichnerischen „Notenblättern“ festhält. Aus dem so entstandenen Archiv an Bewegungsaufzeichnungen hat sie die auswendig gelernten zeichnerischen Schwünge, Linien und Punkte überlebensgroß mit Acryl auf das Lacktex Oil Cloth übertragen. Michaela Zimmer abstrahiert die körperliche Intuition der Bewegung in eine filigrane visuelle Unmittelbarkeit, die sich mit dem schwarzen Spiegelbild der Betrachter*innen verbindet.

Mit diesen Arbeiten werden Michaela Zimmers eigene kraftvolle Joggingbewegungen zur Anregung für die Overall-tragenden Performer*innen. Bei genauem Hinsehen sind ihre Bewegungen überall in der Ausstellung: sie sind im Material der Einweg-Overalls vorhanden, die in vorherigen Performances getragen und besprüht wurden, und ebenso in den Leinwänden, die von der Künstlerin vollflächig grau oder gestisch blau bemalt worden sind; nun umschließen sie als Teile der Overalls Arme und Hälse anderer Menschen. Zimmers eigene Kraft findet darin eine Übertragung: die pastosen Malschichten und die synthetischen Textilien versprechen Schutz und Kraft, doch hängen sie den Träger*innen auch als Schleppe aus bespannten Keilrahmenresten nach. Michaela Zimmer sucht auch dieses Material aus ihrer Vergangenheit in Bewegung zu versetzen und versieht es mit Rollen. Doch die Bewegung fällt ihm schwer: der Asphalt der Industrielandschaft ist nicht das natürliche Umfeld des Keilrahmens.

Keilrahmen und Rollen, Bewegung und Liminalität, Tanz und Overall: In ON GOING treffen Materialien und Techniken aus Michaela Zimmers langer künstlerischer Arbeit in Großbritannien und Berlin aufeinander. Als Remix schreiben sich die Werke ineinander ein, entwickeln sich gegenseitig weiter und machen Gedankenräume auf: Was macht die aus unserem Inneren kommende Bewegung mit dem Ganzkörperanzug aus Haut, Stoff, Raum und Umwelt, der uns täglich umgibt?

Anika Reineke, Nov. 2022

 

 

171717

Die Skulptur bezieht sich auf die 17 Stufen, die jeweils einen Abschnitt der Außentreppe am Lobe Block, dem von Arno Brandlhuber erbauten „Treppen-“ oder „Terrassenhaus“, bilden.

Die visuelle Umsetzung von körperlicher Bewegung spielt in Zimmers Arbeit eine zentrale Rolle. Sie lief an 17 Tagen 17 Mal 17 Stufen hinauf und hinunter und hielt diesen Vorgang zunächst in Notizen auf Papier fest. Nachdem sie anschließend die „Sprache“ dieser speziellen Bewegung erlernt hatte, wurde deren „Alphabet“ auf 17 Meter Armierungsfolie übertragen. Die Skulptur ist Teil von PORÖS, einer von Sculplobe kuratierten Ausstellung.

 

 

 

 

„Anything can happen for some weird reason;
yet also, without any reason, nothing at all can happen.”

― Reza Negarestani, Cyclonopedia ,2008

 

Die abendländische Geistesgeschichte wird getragen vom Dualismus zwischen Körper und Geist. In diesem auseinanderstrebenden Kraftfeld arbeitet Michaela Zimmer konsequent daran die Dichotomie der dadurch gegebenen Möglichkeitsräume aufzulösen, indem sie die somatischen – quasi natürlichen – Anlagen des menschlichen Körpers als Bedingung für Kunst ins Zentrum ihrer Arbeit rückt. Zunächst hat sie dafür den eigenen Körper im Rahmen von Performances eingesetzt. Streng genommen handelte es sich seinerzeit um body – oder human sculptures, die fast immer unter Ausschluss der Öffentlichkeit entstanden, und eher Rechercheprojekten glichen. Zutage trat nämlich kein für alle sichtbarer Handlungsablauf sondern eine Abfolge möglicher Gestalten im Raum. Durch das Medium Körper artikulierten sich via Fotografie Fragestellungen zu Form und Raum wie auch zur Bild- und Wahrnehmungszeit. Obgleich Michaela Zimmer mittlerweile eindeutig als Malerin gelten muss und in ihren Bildern ein ungegenständliches Formenvokabular vorherrscht, zeigt sich inzwischen, dass ihre Arbeiten durchgehend Untersuchungen sind, verschiedene Möglichkeiten des Nachdenkens über das Verhältnis zum Raum, in dem wir uns bewegen, und dem Bild, das wir uns von ihm machen zu untersuchen. Gezielt nutzt sie dafür weiterhin die spezifischen Möglichkeiten des Körpers in Bezug auf Gedächtnis, d.h. der Körper ist nicht nur Objekt zeitlicher Prozesse sondern Träger von Informationen über diese. Methodisch ergibt sich daraus automatisch ein oszillierendes Zusammenspiel von malerischer Intention und Bildelementen, die Zimmers individueller Propriozeption entspringen.

Ideengeschichtlich befinden wir uns hier dicht an Maurice Merleau-Pontys dritten Weg im Reich der Phänomenologie, der den tatsächlichen Körper als entscheidend für Wahrnehmen, Begreifen und Widergeben versteht. Der Philosoph spricht explizit vom Maler, der seinen Körper einbringt und ihn der Welt leiht, denn er begreift ihn als ausgewiesenen Fachmann für die Metamorphosen von Sehendem und Sichtbaren.[1] Beleuchtet man die Ursprünge, die die Vorstellung eines rein intellektuell operierenden Gedächtnisses um das Konzept des bewusstseinsfremden Körpergedächtnisses erweitert haben, kommt man an zwei Übervätern deutschsprachiger Forschung  – Sigmund Freud und Friedrich Nietzsche – nicht vorbei. Letzterer war der Meinung, dass wohl nichts furchtbarer und unheimlicher an der ganzen Vorgeschichte des Menschen sei, als seine Mnemotechnik  und fand in seinem  Zur Genealogie der Moral „Man brennt [dem Menschen] Etwas ein, damit es im Gedächtniss bleibt: nur was nicht aufhört, weh zu tun, bleibt im Gedächtniss.“[2] Beinahe gleichzeitig wurde das Körpergedächtnis in der Psychoanalyse zuständig  für Affekte, Reaktion und Aktion infolge zuvor erfahrener Traumata. Parallel zu diesem heute als traumatic body memory bekannten Version wurde der Begriff der Körpererinnerung vereinzelt bereits in der Bedeutung der habitual body memory verwendet. Beide Konzepte interpretierten die Verbindung von Körper und Gedächtnis als eine extrem drastische und leiteten sich im Wesentlichen aus der erprobten Speicherung von Bewegungsabläufen ab, die Grundlage davon ist, dass wir bei früh gelernten Abläufen wie beim Musizieren, Radfahren oder Schwimmen zwar aus der Übung kommen aber nicht grundsätzlich vergessen, wie es geht. Milieus, in denen diese Form des Gedächtnisses zu Dressur und Drill werden, waren und sind Sport, Militär und Ballett. Mitglieder dieser Gruppen können in spezifischen Kontexten mit passenden Impulsen quasi automatisch Bewegungen aus dem kinästhetischen Gedächtnis abrufen und in komplexe immer gleiche Abläufe umsetzen. In Abkehr von dieser noch immer herrschenden Disziplinierung des Körpers, hat in jüngster Zeit eine Art Rehabilitierung des Körpers stattgefunden, die sich von den Neurowissenschaften ausgehend in der Kontextualisierung des Körpergedächtnisses niederschlägt. Vor allem die Geschichtswissenschaften begreifen die Erforschung dieser Form des Gedächtnisses als Revision des Kulturbegriffs, sozusagen die Auferstehung der verschwundenen Körper der Aufklärung. Hinsichtlich des Bewegungsapparats ist eine gewisse Fokussierung auf die Geste und damit auf die Hand als Erkenntnisorgan zu beobachten, die ganz direkt mit der Sprachentwicklung im Zusammenhang gebracht wird. Aufschlussreich sind Befunde aus dem Bereich Musik, die sich teilweise auf die bildenden Kunst übertragen lassen. Der Komponist Györgi Ligeti beispielsweise beschreibt ausführlich die Rückkoppelungsschleifen zwischen seinen tonalen Vorstellungen und der Motorik seiner Finger auf der Mechanik der Klaviertastatur, die, angereichert durch neue Ideenskizzen, in jeweiliger Beeinflussung den Kompositionsprozess mehrfach durchlaufen. Dass sich seit 2007 Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen im Arbeitskreis Neuroscience & Dance[3] über motorische Intelligenz austauschen, ist in diesem Zusammenhang absolut logisch.

Vor diesem Hintergrund müssen die aktuellen Kollaborationen der Künstlerin mit Tänzern und Choreographen der British National Contemporary Dance Company Rambert und der japanischen Tänzerin Fukiko Takase betrachtet werden, in denen die Partner in einer Art Parallelschwung ihr jeweiliges gestisches Substrat aus dem Repertoire der individuellen Tiefensensibilität gewinnen.  Medizinisch beschreibt Tiefensensibilität, oder propriozeptive Wahrnehmung, die Sinnesaufnahme von Reizen aus unserem Inneren. Muskeln, Gelenke und Sehnen geben dem Gehirn regelmäßig Informationen über die Lage des Körpers im Raum, die Richtung einer ausgeführten Bewegung und den Widerstand, der auf den Körper wirkt.  Zimmer macht diesen Prozess fruchtbar für eine Verfeinerung der visuellen und viszeralen Wirkung und nutzt dafür die dem Körper eingeschriebenen Handlungsformen. Diese generieren ihre Formen unmittelbar aus dem Fundus des Antrainierten. Was im Zusammenhang mit der strengen Disziplin des Balletts vollkommen logisch erscheint, ist in der Malerei nicht sofort einleuchtend. Gleichwohl resultieren auch die Zeichen und Farben auf Zimmers Oberflächen aus vergleichbaren Prozessen. Schon Merleau-Ponty sah den eigenen Leib (corps propre) voll erworbenen Wissens, für dessen Vermittlung der physische Akt des Malens von besonderer Bedeutung ist. Die Neurowissenschaft hat inzwischen geklärt wie wichtig Neuronen und die von ihnen gesteuerten Muskeln bei Erwerb und Abruf der akkumulierten Eindrücke sind. Die verschiedenen Möglichkeiten, die sich aus dieser Konstellation ergeben, aktiviert Zimmer seit längerem planvoll für ihre Bilder, die sich im steten Abgleich zwischen physikalischer Erinnerung und motorischer Ausführung langsam entwickeln

Jüngste Iterationen nutzen das Potenzial ihres körpereigenen Gedächtnisses direkter und unmittelbarer. Dafür muss man wissen, dass die Künstlerin derzeit ein tägliches Lauftraining absolviert und konsequent nach ihrer Rückkehr ins Atelier ohne Reflexionspause drei bis vier Blätter, selten weniger, in zügiger Folge mit den vom Vortag noch vorhandenen Farben und Stiften füllt. Das Bild funktioniert hier wie eine seismographische Zeichnung, als Spur oder Zeichen gerade eben geprägter Sinneseindrücke. Dieses Modell der Umsetzung von Erinnerung in Form entspringt weitestgehend dem Kurzzeitgedächtnis, während der Begriff der Körpererinnerung in Zusammenarbeit mit der Company Rambert eher die Vorstellung vom Körper als Archiv aufnimmt.

Zweifelsohne befinden wir uns auf einem experimentellen Level, wenn Zimmer die wiewohl unleugbar vorhandene jedoch je nach Typus nur schwierig steuerbare Körpererinnerung für ihre Kunst fruchtbar macht. Wie zur Überprüfung der eigenen Methode verschieben in einigen Varianten der Performances daher Körperbemalungen die Ausrichtung der partizipativen Übungen in Richtung Ritual , in anderen nähern sich die Tänzer in weißen, minimal zeichnerisch markierten Overalls dem Status der Kunstwerke an.  An dieser Stelle beginnt man zu sehen, wie stark Zimmers Arbeit in wichtigen Tendenzen der 70er Jahre Avantgarden verankert ist, als die raumbasierten Künste sich in Handlung verwandelten und die zeitbasierten wie Tanz, Musik, Poesie und Performance begannen, sich der Installation und dem Objekt anzunähern.

Es wäre falsch angesichts des in den letzten Jahren entstandenen umfangreichen Korpus von Bildern und Zeichnungen deren Deutung ausschließlich aus der Anwendung leiblicher Erinnerungskultur zu betreiben. Zweifellos ist den mehrfach geschichteten, fragmentierten Ebenen ihrer aus Leinwand, farbigen Kunststofffolien, Verpackungs- und Klebebändern bestehenden Arbeiten die Spur des Performativen schon immer eingeschriebenen. Dennoch ist das Resultat regelmäßig ein abstraktes Bild, von denen einige sich in jüngerer Zeit von der Wand emanzipiert haben und wie Fahnen frei im Raum hängen. In ihnen scheint sich der Topos der Präsenz, der das ikonoklastische Projekt der Abstraktion von Anfang an bestimmte, zu vollenden. Das Erhabene, das gemeinhin mit exakt dieser Haltung importiert wird, umspielt die Künstlerin unter Verwendung schillernd konnotierter Materialien allerdings effektiv. Hier genau unterscheidet sich Zimmer von vergleichbaren Recherchen in die Minimierungsmöglichkeiten des malerischen Gestus, die am Ende doch immer die auratische Leinwand anstreben. Dass einige ihrer unaufdringlichen Bildhintergründe arbeitsaufwendig in langwieriger Schichtung entstehen, ist da nur ein scheinbarer Widerspruch. Am Ende entwickeln sich fruchtbare Verschiebungen und Konflikte genau dort, wo unterschiedliche Systeme der Bildproduktion aufeinandertreffen.

Susanne Prinz, 2019

 

[1] Maurice Merleau-Ponty, Das Auge und der Geist, 1961 (Deutsch 2003)

[2] Friedrich Nietzsche: KSA 5, S.295

[3] https://www.tamed.eu/ausbilden/wissenschaft-dance-science/ abgerufen 10.1.19

 

 

 

Eine überraschende Anzahl von KünstlerInnen hat in der Vergangenheit mit Kunststoff gearbeitet. Zugegeben, waren darunter eine ganze Reihe von unsystematischen, einmaligen, und besonders im Zusammenhang mit Folien auch teilweise bizarre Sonderauftritte. Dennoch erscheint das industriell vorgefertigte Material seit Jahrzehnten so regelmäßig in der zeitgenössischen Kunst, dass es mittlerweile nicht nur für Skulpturen sondern auch bei Bildern zu den klassischen Materialien gerechnet werden muss. Tatsächlich war es lange in der Lage, alles, was es berührt zu modernisieren. Mittlerweile ist Kunststoff in der Kunst allerdings durchaus ambivalent. Heute ist er ein Werkstoff, der zugleich rückwärts und vorwärts zu weisen scheint. Schließlich hat er seine mit naiven Optimismus gefeierte Neuwertigkeit längst eingebüßt, während ihn andererseits die bemerkenswerte Eigenschaft, nicht fassbar, irgendwo zwischen der 3-dimensionalen Ding- und der 2-dimensionalen Bildwelt angesiedelt zu sein, auch aktuell außergewöhnlich interessant macht.

Es liegt nahe, hier das spezifische Interesse Michaela Zimmers zu vermuten, denn ihre Arbeiten sind schon immer Versuche, verschiedene Möglichkeiten des Nachdenkens Über das Verhältnis des Raum, in dem wir uns bewegen, und dem Bild, das wir uns von ihm machen, zu untersuchen. Vorrangig argumentieren ihre Bilder dazu mit dem Körper. Das ist zunächst nicht unbedingt sichtbar, aber durchaus spürbar, denn Format und Binnenstruktur der Leinwände beruhen auf Größe und Reichweite der Künstlerin. Damit ist ein performativer Raum beschrieben, der, da er wie Le Corbusiers Modulor den menschlichen Körper als Maßstab nimmt, unmittelbar mit jedem Betrachter korrespondiert. Lässt man sich darauf ein, kommt es nicht nur zur Verschmelzung von Bild- und Realraum, auch Bildträger und Bild werden eins. Denn mangels fester Lichtquelle im Bild kollabiert die Distanz, die den Betrachter vom Ort der optischen Erfahrung trennt. Stattdessen gibt es eine unendliche Abfolge von Spiegelungen auf einer Unzahl von Farbschichten. Das Spezifische dieser durch einen quasi körperlosen, schwebenden Farbraum gekennzeichneten Leinwände ist die ihnen eingeschriebene vierte Dimension der Zeit, die sich als Spur des Performativen zwischen den mehrfach geschichteten, fragmentierten Ebenen eingeschriebenen hat.

Die neu hinzugekommene plastische Ebene verstärkt das außergewöhnliche Changieren der räumlichen Verhältnisse. Details werden unklarer und bleiben hinter halb-transparenten Folien verborgen. Die Dichotomie von Abstraktion und Körperlichkeit verschwindet in der Verschmelzung von Bild und Objekt, Illusionsraum und Material. Blickt man auf ältere Arbeiten zurück, wird deutlich, dass Michaela Zimmers Arbeiten im Grunde schon immer einen flexiblen und aktiven Betrachter vorausgesetzt haben – jemanden, der sich nicht damit begnügt, linear nach syntaktischen und lexikalischen Regeln zu entziffern, sondern der sich selbst in Beziehung zum Objekt und den von Bewegung und Kraft definierten Zeichen setzt. Die Erweiterung des Bildes um eine zusätzliche objektivierende Ebene ist aus dieser Perspektive schlüssig und folgerichtig.

Susanne Prinz, 2016

 

Die unweigerliche Verknüpfung des Sehprozesses mit etwas Intuitivem ist beim Betrachten von Michaela Zimmers Malerei offenkundig. Wir nehmen nicht nur wahr, dass hier Material über Leinwände gehängt ist und Folien um Kanten und Ecken verspannt sind, sondern auch, dass die Arbeiten einen starken Bezug zum Körperlichen haben. Die physikalische Begrenzung, um genau zu sein, der Reichweite der Künstlerin, bestimmt Größe und Dimension der Leinwände und bringt darin einen Bezug zum menschlichen Körper ganz augenscheinlich zum Ausdruck.

Performative Elemente tragen zur Entstehung der Arbeiten bei; malerische Linien mit gebündelter Energie in einem Zug aufgetragen und Reflektionen auf polymorphen Ebenen bilden Oberflächen, die fließend sind und zugleich präzise. Wenn Zimmer über ihre Malerei spricht, reflektiert sie auch ihre Vergangenheit als Performance Künstlerin und die physische und mentale Kondition, aus der konzentrierte Gesten und Bewegungen resultieren. Sie nutzt diese Energie im Atelier als Teil des Entstehungsprozesses der Werke und arbeitet oft an mehreren Bildern gleichzeitig.

Das Körperliche in ihren Arbeiten ist nicht unbedingt ein Aspekt, der uns innerhalb des Dogmas der Diskussion um Abstraktion geläufig wäre. Obwohl ihre Arbeiten eindeutig abstrakt sind, ist das Entscheidende dran, die Art und Weise in der uns die Materialität und Gesten in ihnen dazu einladen, uns auf das Körperliche im bildnerischen Prozess zu konzentrieren: Zimmer präsentiert uns plastische Bedeutung aus der Verknüpfung von eher intuitiven Aspekten des Körpers mit der visuellen Sprache der Abstraktion. Der Raum, den die Werke einnehmen beeinflusst unsere Betrachtung, während die Intervention der verhüllenden Folien, uns dazu zwingt, uns in der Auseinandersetzung mit dem Werk physisch um die Arbeiten herum zu bewegen. Die physische Reaktion auf den temporären Charakter der Oberfläche, die aus den unterschiedlichen Blickwinkeln niemals gleich erscheint, reflektiert so unmittelbar den Entstehungsprozess.

Kim Savage, 2016